Bye bye Dreads

Ich erzähle euch heute die Geschichte meiner Kundin Jana*, die sich entschieden hat, ihre Dreads abzuschneiden. Ich kenne sie bereits seit zehn Jahren. Was für eine lange Zeit. Regelmässig kommt sie zu mir um ihre mittlerweile Po-langen Dreadlocks zu pflegen. Wir verbringen jeweils zwei Stunden zusammen und quatschen nebenbei über Gott und die Welt. In der Zwischenzeit sind wir beide Eltern geworden. Ich durfte Jana an ihrem Hochzeitstag die Frisur machen vor ein paar Jahren. Es ehrt mich, wenn ich Menschen ein Stück weit auf ihrem Lebensweg begleiten darf. Auch wenn es „nur“ um die Frisur geht. Als ich von der jüngst erschienenen Diskussion rund ums Thema “ Kulturelle Aneignung“ hörte, dachte ich zuerst an Jana. Ich spürte, dass sie bestimmt mit diesem Thema in Berührung kommen würde, zumal sie genau eine von „denen“ ist, um die es geht : Weisse Menschen mit Deadlocks. Jana kam heute Morgen zu mir in den Laden und ich spürte schon, bevor sie sich hinsetzte, dass sie mit mir etwas dringendes besprechen möchte. Mein Instinkt täuschte mich nicht. Jana meine, sie wolle sich die Haare abschneiden. Sie komme nicht damit zurecht, was gerade diskutiert wird. Folglich unterhielten wir uns über das besagte Thema und wurden beide emotional. Ich bedauerte, dass ich Jana als Kundin verlieren würde, zumal sie immer von weit herreiste um sich von mir pflegen zu lassen. Ich merkte eine Trauer in ihr aufsteigen. Mir war klar, dass ihre Haare nicht nur eine Frisur waren, sondern für sie eine grosse Bedeutung hatten. Schon als sie klein war, fühlte sie sich immer fremd. Äusserlich war sie es ganz und gar nicht, aber im Innern hatte sie immer das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Früh interessierte sie sich für die Schwarze Kultur. Ihre Jugend wurde von Schwarzer Musik geprägt und ihre Vorbilder waren meist Schwarze Menschen. Ihre erste grosse Reise machte sie mit gerade mal 22 Jahren nach Jamaika. Dort lernte sie den Reggae noch mehr lieben. Sie erfüllte sich ihren Wunsch, die Haare verfilzen zu lassen und kehrte von ihrer Reise mit einer neuen Haarpracht zurück. Es fühlte sich gut an. Sie fand Heimat in sich und ihr Äusseres passte endlich zu ihrem Innern. Oft geriet sie in Situationen, in denen sie sich schämte oder manchmal auch schuldig fühlte mit ihren Dreads. Dennoch behielt sie die Mähne und konnte sich nicht vorstellen, wieder ihre „echten“ Haare zu tragen.

Seit ein paar Wochen aber fühlt sie sich als Angriffsfläche. Als Schuldige. Schlaflose Nächte begleiteten sie und der Wunsch nach Unsichtbarkeit wurde grösser. Da waren wir also. Ich mit der Schere in der Hand und Jana mit geballten Fäuste in den Hosentaschen. Es flossen einige Tränen, als ich Jana’s letztes Dread abschnitt. Sie verabschiedete sich von ihren Haaren, als wären es ihre Freunde gewesen, die sie nun gehen lassen musste. Etwas unsicher und nackt sass sie nun vor mir. Sie betrachtete ihr ungewohntes Spiegelbild und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Dinge loslassen kann ganz schön schwer sein. Aber jede geschlossene Tür, öffnet wieder eine Neue. Jana freut sich jetzt darauf, sich selbst neu zu entdecken. Wer weiss, welche Überraschungen nun auf sie warten 🙂 Adios Dreadigos! *Name geändert

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