Von der Langeweile und bedrohlichen Haarschnitten

Eigentlich wollte ich heute über damals erzählen, als ich noch in Bern meinen Salon hatte, diesen wunderschönen Laden, in welchem man sich ein bisschen wie in der Sahara fühlte ( der Name war auch saHaara). Doch jetzt fallen mir gefühlt tausend Dinge ein, über die ich schreiben möchte. Zum Beispiel über die Zeit. Wo bleibt die Zeit eigentlich? Und warum ist sie so knapp? Dreht sich die Welt schneller, oder liegt es nur an den überfüllten Terminkalender? Könnte man die Zeit ausdehnen, oder läuft sie einem wirklich davon? Erst gestern hatte ich dieses Gefühl, welches mich in leichte Panik versetze, dass ich keine Zeit habe. Sie fehlt mir für all die Dinge, die ich machen möchte. Ich liebe es mich zu langweilen, denn dann entstehen die besten Ideen, wird meine Wohnung auseinander genommen und all die unnötigen Dinge werden aussortiert und entsorgt, die schon lange vor sich hingammeln. Momente mich in ein Buch zu vertiefen oder mich den Legokreationen meines Sohnes hinzugeben (oder in den Genuss eines Salzteigmenüs meiner Tochter zu kommen) geniesse ich zutiefst. In der Langeweile verbergen sich viele Schätze. Schätze, die im Dschungel der unzähligen Termine und Verpflichtungen untergehen. Man kann die Zeit nicht aufhalten und die Termine verschieben. Aber vielleicht könnte man ab und zu einen „langweiligen Tag“ eintragen im Terminkalender. Könnte ja sein, dass es sich dadurch ein wenig anfühlt, als würde die Zeit ausgedehnt? Einen Versuch wäre es wert.

Damals jedoch, in meinem Salon in Bern, war einmal ein sonniger, mit zwitschernden Vögeln erfüllter Tag. Unerwartet hatte ich Besuch von einem jungen Mann, welcher sich von mir die Haare schneiden lassen wollte. Ich hatte gerade Zeit und bat ihn sich zu setzen. Ich fragte ihn nach seinem Frisurenwunsch. Bis dahin verlief noch alles unaufgeregt. Ich bat ihn zum Haare waschen und wollte gerade den Wasserhahn aufdrehen, als er plötzlich erschrocken aufstand. “ Willst du mich ertränken?“ fragte er panisch. Ich verstand nicht was er meinte und dachte, dies sei ein Scherz. Schnell merkte ich aber den Ernst in seiner Miene und versuchte ihn zu beruhigen. Nun kriegte ich es mit der Angst zu tun. Wie soll das gehen mit dem Schneiden, wenn er schon beim Waschen denkt, ich wolle ihn umbringen? Er entschuldigte sich für seinen Ausbruch und begleitete mich zum Stuhl. Ich kämmte seine Haare und setzte die Schere an, schon packte er meine Hand und drohte mir, wenn ich ihn verletzen sollte, könne ich etwas erleben. Meinen Hände zitterten und ich war hin und her gerissen, ob ich abbrechen sollte oder weitermachen. Der Kunde ist König. Diesen Satz hatte mir damals mein Ausbildner tief eingebrannt. Also fuhr ich fort (das Abbrechen hätte womöglich noch schlimmeres ausgelöst). Ich deckte den Spiegel mit einem Tuch ab, damit er nicht irritiert war von seinem Spiegelbild und kommentierte jede Handlung die ich tat. Ein paar weitere Male drohte er mir, oder packte mich am Arm. Am Ende hatte ich es aber überstanden und mein Kunde ging ( zwar etwas verstört von meinen vermeintlichen Angriffsversuchen) mit einem neuen Haarschnitt hinaus. Er kam zu meiner Erleichterung nie wieder zu mir zurück. Wahrscheinlich war ich ihm zu kriminell. Ich öffne jetzt meinen Terminkalender und werde mir für den nächsten Monat ein paar langweilige Tage eintragen. In diesem Sinne, bleibt auf der Hut vor gefährlichen Friseuren und dehnt eure Zeit aus 🙂

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